Sie sehen hinter mir das Grundgesetz.
Sie sehen symbolisiert die europäische Integration durch die Europa-Flagge.
Was Sie vielleicht nicht erwartet haben, sind die drei Herren in rot,
die ich Ihnen mit aufs Bild geschmuggelt habe.
Ich weiß nicht, ob Sie sie erkennen.
Es sind eigentlich acht.
Der Vorsitz von Prof. Voskule ist der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Herr Voskule verkündet gerade einen Urteil.
Dass ich diese drei Herreninnen und Herren hiermit ins Programm geschmuggelt habe,
dazu bin ich begründungspflichtig.
Die Begründung dafür ist ganz einfach die, dass man das Thema, das heute Abend zur Debatte
steht, tatsächlich nur angemessen behandeln kann, wenn man die einschlägige Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts mit ins Kalkül zieht.
Denn – dafür kann man noch einmal eine Begründung anführen – das Grundgesetz
gilt praktisch so, wie das Bundesverfassungsgericht es auslegt.
Das ist ein Befund, den hat Rudolf Sment anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Bundesverfassungsgerichts
so formuliert.
Rudolf Sment, ein ganz bekannter Verfassungsrechtler, und dieser Befund, dass das Grundgesetz im
Grunde nur so gilt, wie das Verfassungsgericht es auslegt, ist knapp 50 Jahre später mindestens
genauso wahr wie damals, wenn nicht noch wesentlich wichtiger.
Ich weiß, die langweiligste Gliederung ist die chronologische Gliederung, aber wir können
unser Thema im Grunde nur so anpacken, dass wir in der Tat uns an die Ursprünge unseres
Grundgesetzes zurückerinnern.
Ich habe diese Folie hier überschrieben mit der Frage, ob das Grundgesetz von 1949 nicht
seinerzeit voraus gewesen sei.
Sie wissen, das Grundgesetz wurde 1948-49 vom Parlamentarischen Rat beraten.
Der Prozess der europäischen Integration damals, also das, was wir heute unter europäischer
Integration verstehen, hatte seinerzeit 48-49 aber noch nicht begonnen, sondern begann,
so steht es auch hier auf der Folie, faktisch erst mit der Vorlage des Schumann-Plans zur
EGKS, kennen Sie vielleicht besser als Montanunion, im Mai 1950.
Und dennoch, und das ist mein erster, wie ich finde, ganz wesentlicher Befund, auf den
ich gleich noch ein wenig eingehen werde, dennoch wurde das Grundgesetz von vornherein
als integrationsoffene Verfassung konzipiert.
Wenn ich das so behaupte, dass es von vornherein eine integrationsoffene Verfassung gewesen
sei, dann sollte ich das in einer Weise belegen.
Ich illustriere es.
Ich illustriere es anhand zweier Zitate aus den Beratungen des Parlamentarischen Rates,
die wir in den Protokollen verewigt haben.
Adolf Süsterhenn von der CDU sagte beispielsweise wörtlich, Zitat, wir sind gern bereit, die
Souveränitätsrechte auf den verschiedensten Gebieten an eine höhere übernationale Einheit
abzutreten.
Und sein Kollege von der SPD, Carlos Schmitt, hat gesagt, auch wiederum wörtlich, wir wollen
heute die Souveränität haben, um Deutschland in Europa aufgehen lassen zu können.
Also Sie sehen parteiübergreifend ein Konsens dahingehend, dass man nicht sozusagen unbedingt
im nationalstaatlichen Gefängnis, wie ich das so formulieren darf, verharren wollte,
schon seinerzeit.
Und deswegen hat man in das Grundgesetz bestimmte Aussagen hineingeschrieben, die ganz, ganz
wichtig sind und die faktisch darauf hinauslaufen, dass die europäische Integration ein, und
das ist mir wichtig, nationales Staatsziel darstellt.
Was soll das heißen?
Presenters
Prof. Dr. Heinrich Pehle
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:49:59 Min
Aufnahmedatum
2009-11-26
Hochgeladen am
2018-05-06 12:08:16
Sprache
de-DE
Das Grundgesetz war von vornherein als integrationsoffene Verfassung konzipiert. Die Schaffung eines vereinten Europa und die Mitwirkung an der europäischen Integration sind seit 1949 im Grundgesetz als Staatsziele verankert. Damit war und ist allerdings noch keine konkrete Aussage über die Grenzen der Integration verbunden. Es blieb dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, diese Grenzen zu definieren. Im "Maastricht-Urteil" von 1993 und deutlicher noch im "Lissabon-Urteil", das im Juni 2009 verkündet wurde, hat das Karlsruher Gericht verbindlich deutlich gemacht, dass es eine nationale Verfassungsidentität gibt, die es auch und gerade angesichts des fortschreitenden Vergemeinschaftungsprozesses zu achten und zu bewahren gilt. Damit verbinden sich jedoch Kontrollansprüche des BVerfG über das Handeln auch der europäischen Organe, die das Gericht potenziell in Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof bringen.